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"Kunst ist kein Luxus" - Silke Andrea Schmidt
Wenn Entfremdung zur Kunst wird

Text von Anna-Fee Neugebauer, Februar 2006

Sie häuft raumgreifende Hügel von Latex bezogenen Schneckenhäusern auf, postiert ausgestopfte weiße Rehe in Sonnenblumenkernfeldern, stellt Legionen von Gummimäusen nostalgische Filzarbeiten gegenüber - die Mühlheimer Künstlerin Silke Andrea Schmidt, 1969 in Offenbach geboren, abgeschlossenes Architekturstudium in Kassel und Berlin sowie Absolventin der Offenbacher Hochschule für Gestaltung in den Fächern Kunst und Grafikdesign, setzt Zeichen.
In ihren symbolgewaltigen und zugleich traumzarten Ausstellungen, die in den letzten Jahren die Kunstszene Rhein-Main beleben, beherrscht die Entfremdung von Mensch und Natur, aber auch jene des Menschen von seinem Innern, die Szenerie vor den Augen des Betrachters. Ob Fotografie, Installation oder Filzbild, Silke Andrea Schmidt begnügt sich nicht mit einfachen Aussagen über die vermeintliche Unvereinbarkeit von Mensch und Tier, sondern zeigt und ersetzt im Gegenteil die verloren gegangene Verbindung in ihren oftmals meditativ-verstörenden Arbeiten. So liegt ihren Kunstereignissen immer eine besondere Ästhetik zugrunde: Da mag auf trügerische Art die harmonische Kombination von industriell gefertigter Massenware und Naturfundstück funktionieren, doch der unvermittelt todesstarre Blick eines übergroßen Tierauges ruft mahnend plötzliches Unbehagen in Orwell'scher Manier hervor.
Die Künstlerin offenbart Störungen zwischen Mensch und Tier, unter denen vor allem das Tier zu leiden hat. Menschliches verfügt über tierisches Leben, wir sind der Natur entfremdet, haben sie feindlich übernommen, aus unserem technisierten Leben verbannt. Manchmal wagen wir einen Blick durch schmale Zeitfenster und Nadelöhre in sie hinein, aber auch nur dann, wenn es uns passt und danach verlangt. Eine einseitige Beziehung, die der anderen Hälfte keine Wahl lässt, dadurch aber beiden Schaden zufügt. Nun ist der Mensch zwar Zerstörer aber auch Heiler, und hoffnungsvoll appelliert die Künstlerin, die das fragile Beziehungsgeflecht zwischen Homo sapiens und Mutter Natur nicht gänzlich verloren geben möchte, an eine andere menschliche Spezialität ­ Kitt von Menschenhand, Mull und Pflaster als wiederkehrende Symbole einer heilenden Verbindung der kreatürlichen Welten.
Silke Andrea Schmidt inszeniert in ihrer aktuellen Schau "Kunst ist kein Luxus", zu sehen bis 31.3. im Offenbacher Ausstellungsraum Fahrradhalle, Luisenstr. 51, in schonungsloser Bildspra-che das Tier als Ware und industrielles Produkt und den Beziehungsverlust des Menschen zu seiner natürlichen Umgebung: Orchideen wachsen inmitten von Industriefuttermittel aus getrockneten Erbsenmassen, von der Künstlerin in Front gesetzt zu Kalbsbeinen und Hundeknöchelchen in Begleitung einer passionshaft anmutenden Foto-strecke toter und lebendiger Tiere auf der Autobahn. Der Rundgang wird zum Opfergang für den Betrachter, doch milde bewacht vom seinerseits gepfählten Holzkreuz und umgeben von tröstender Orchideenreinheit, muss er auch in dieser Ausstellung der Künstlerin nicht alle Hoffnung ziehen lassen.
1998 gründete Silke Andrea Schmidt die Firma transform und arbeitet als Designerin für namhafte Unternehmen, für die sie Printmedien von der Konzeption bis hin zum fertigen Produkt ent-wickelt. Künstlerisch eng verbunden ist sie mit Netzwerk Offenbach, mit dem sie auf Messen vertreten ist und mehrere Einzel- und Gruppenausstellungen realisiert hat.
Ausführliche Informationen finden Sie unter www.silke-andrea-schmidt.de und www.netzwerk-offenbach.net.

Eröffnung der Ausstellung: Samstag, 18. Februar 2006

Öffnungszeiten während der Ausstellung:
jeden Freitag von 15 bis 20 Uhr
und nach Vereinbarung.

Ausstellung: 20. Februar ­ 31. März 2006

Ausstellungsraum
FahrradhalleTM®
Luisenstraße 51 · 63067 Offenbach Rhein-Main
www.netzwerk-offenbach.net

"Reigen der Geschundenen"

Text von Carsten Müller, Offenbach-Post/Kultur, 02.03.2006

Silke Andrea Schmidts Installation in der Offenbacher Fahrradhalle Eine Reihe Kalbsfüße steht an der Längswand des Ausstellungsraums Spalier.
Unwirklich erscheinen die akkurat ausgerichteten Hufe in dieser Reihung, wie versteinerte Skulpturen. Und doch wirken sie in ihrer Echtheit viel frappierender, als man es in einer Kunstausstellung erwartet hätte. Es riecht nach Geräuchertem.

"Kunst ist kein Luxus" postuliert Silke Andrea Schmidt, Offenbacher Künstlerin und Absolventin der Hochschule für Gestaltung, in ihrer aktuellen Rauminstallation in der Offenbacher Fahrradhalle. Morbide scheint angesichts der versammelten Fotografien und Objekte ein viel zu mildes Wort. Die gesamte Installation strahlt eine Endgültigkeit aus, die den Betrachter verwirrt und betroffen macht.

Als sei der vom Menschen geschundenen Kreatur hier ein finales Denkmal gesetzt, zieren Holzkreuze die stützenden Pfeiler der Fahrradhalle, deren Mitte ein aus grün schimmernden Trockenerbsen aufgehäufter Hügel markiert.
In diesem grabähnlichen Beet aus duftendem Tierfutter wachsen fragile Blumen. Die Blickachse quer durch den Ausstellungsraum beschließt das großformatige Foto eines toten Kälbchens. Mit himmelwärts verdrehten Augen liegt es blutend und unnatürlich verrenkt im Sand. Ein Anblick, der schmerzt.

So drastisch wie dieser unverstellte Blick auf das Leid eines von uns als Nutztier bezeichneten Geschöpfs fallen auch die übrigen Fotografien der Künstlerin aus, die in einer aufwühlenden, zugleich eigenwilligen Passion von Einzelszenen die Wände der Fahrradhalle bespielen. Vergrößerte Farbaufnahmen zeigen Tiere in Lebenswelten aus Beton, Stahl und Asphalt.
Hunde, Schwäne, Enten, Krähen, die im urbanen Straßenraum deplatziert wirken
- und auch deren Ende wird vorgeführt, mit den vielen unschuldigen Opfern unserer Mobilität.

Es sind Straßenszenen mit toten Füchsen, Dachsen, Hasen, Katzen und sogar einem angefahrenen Pferd. Reflexe, Linien und grafische Elemente sorgen in diesen unterkühlten Dokumenten für eine dynamische Dramaturgie. Der Tod wird hier keinesfalls ästhetisiert, sondern nüchtern konstatiert. Und gerade weil es sich um solch ungeschönte Momentaufnahmen handelt, beeindrucken die Fotografien, in denen die Kamera Distanz überwindet und den Objekten schmerzlich nahe rückt. Verletzungen werden sichtbar, Schutzbedürftigkeit unterstrichen.

Dass Kunst kein Luxus ist, scheint hier in mehrfacher Hinsicht offenkundig, denn Silke Andrea Schmidts Installation verlangt eine besondere Art der Rezeption, die weniger mit entspanntem Genuss, sehr viel aber mit emotionaler Reflexion zu tun hat. Und in dieser Erkenntnis schwingt zugleich auch eine Hoffnung auf Veränderung mit.

„seven lies multiplied by seven, multiplied by seven again“

„Bildsprache, die ins Auge fällt – die Konzept- und Installationskünstlerin Silke Andrea Schmidt“

Text von Joachim Instinsky, Offenbach Post, 21.03.2006

„Im Spannungsfeld zwischen Gegenwart und Nostalgie, Entfremdung und Sehnsucht das gestörte Verhältnis zwischen Mensch und Tier ablesen und den Betrachter damit konfrontieren, ist mein eigentliches Anliegen.“ Silke Andrea Schmidt beschreibt, was für Sie die Triebfeder ihrer Konzept- und Installationskunst ist, die sie seit 1999 in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen der Öffentlichkeit vorgestellt hat.

Das Bedürfnis der Offenlegung, das Aufzeigen der immer weiter fortschreitenden Entfremdung zwischen Mensch und Tier - aber auch des Menschen von seiner inneren Natur - teils subtil, teils in schonungsloser Bildsprache steht im Mittelpunkt ihres Interesses. Sie inszeniert mit Leidenschaft gestörte Idylle und visualisiert den hemmungslosen Konsum einer Überflussgesellschaft, geprägt durch den Beziehungsverlust des Menschen zu seiner natürlichen Umgebung.

Die Ausstellungen beziehen sich immer auf den Raum, wie etwa „Wunderkammer_und alles Fleisch wird zu Gras..“ (2002) in der Kapelle des Isenburger Schlosses in Offenbach oder „inmausion“ im Büro eines Landtagsabgeordneten in Mainz und folgen inhaltlich einer bestimmten Chronologie, die die Hauptthematik in Variationen visualisiert. Auf eine „Überhöhung des Schönen“ in „The sweetest melody is an unheard refrain“ (2005), in der u.a. ein ausgestopftes weißes Reh inmitten eines raumfüllenden Sonnenblumenkernteppichs liegt, folgte „Kunst ist kein Luxus“ (2006) mit einer Bildsprache, die wesentlich radikaler ins Auge des Betrachters fällt und aufrütteln will - die Kreatur als Ware und als industrielles Produkt, verloren in der hochtechnisierten, modernen Gesellschaft, beraubt jeglicher Würde und Identität.

Silke Andrea Schmidt, 1969 in Offenbach geboren, kam nach Abschluss ihres Architekturstudiums in Kassel und Berlin nach Mühlheim zurück und hat in Offenbach an der Hochschule für Gestaltung in den Fächern Kunst und Grafikdesign ihr Diplom erworben. Der Wunsch, ihre eigenen grafischen Kreationen zu verwirklichen, führte 1998 zur Gründung von transform design, die berufliche Plattform für ihre Arbeit als Designerin für namhafte Unternehmen.

„Ich möchte eine realisierbare Unmöglichkeit - eine Utopie - schaffen. Visionen ohne Handlungen sind nicht mehr als ein Traum. Handlungen ohne Visionen sind Zeitvertreibung. Visionen, die Handlungen bestimmen, können die Welt verändern,“ davon ist Silke Andrea Schmidt überzeugt. Wie dringend notwendig dies ist, beschreibt Joseph Beuys, dessen Werk einen großen Stellenwert für die Mühlheimer Künstlerin hat: „Unser Verhältnis zur Natur ist dadurch gekennzeichnet, dass es ein durch und durch gestörtes Verhältnis ist. Was zur Folge hat, dass die Naturgrundlage, auf der wir stehen nicht nur gestört, sondern sogar restlos zerstört zu werden droht. Wir sind auf dem besten Wege, diese Basis völlig zu vernichten, indem wir ein Wirtschaftssystem praktizieren, das auf hemmungsloser Ausbeutung von Natur und Tieren beruht. Die brutale Ausbeutung ist die selbstverständliche Konsequenz eines Wirtschaftssystems, dessen obere Richtschnur Profitinteressen sind.“
Großformatige Fotografien, fast immer Makroaufnahmen von Tieren, die den Betrachter durch die eindringliche, ungewohnte Präsenz irritieren, begleiten Silke Andrea Schmidts Installationen und fügen sich ein als Bindeglied zu ihren dargestellten Intentionen. Zu sehen sind alle Ausstellungen unter www.silke-andrea-schmidt.de

"Gut abgehangene Kalbshaxen"

Text von Christoph Schütte, FAZ, Kultur, 28.03.2006

Junge, Junge. Was für eine Atmosphäre. Hätte man der guten alten Fahrradhalle gar nicht zugetraut. Doch die sakrale Aura, in die Silke Andrea Schmidt den Offenbacher Ausstellungsraum in der Luisenstraße 51 getaucht hat, hat eine derart starke Wirkung, daß man als Katholik, und sei es aus alter Gewohnheit, unwillkürlich nach dem Weihwasserbecken Ausschau hält. Ein Kreuzweg, ein Passionszyklus ist diese auf einen in den Raum gesetzten Grabhügel zulaufende Installation mit Fotos verendeter Tiere, Bergen von Futtermitteln und einer schier endlosen Reihe gut abgehangener Kalbshaxen.
Formal erscheint das zunächst sehr sauber, sehr klar und exakt den Gegebenheiten eingepaßt. Und doch, alles in allem, ein wenig zu stark.

Schon immer kreisen die Arbeiten der jungen Künstlerin um die Entfremdung des Menschen von der Natur, um ihre gnadenlose Verdinglichung und, damit verbunden und keineswegs zuletzt, um das Leiden der geschundenen Kreatur.
Und nicht selten auch gelingen Schmidt mit ihren Installationen stille, mitunter stumm machende Bilder. Jetzt aber, so scheint es, geht es womöglich einfach nicht mehr weiter. Denn jenseits einer solchen Überhöhung, des religiösen Rahmens, in den die aktuelle Arbeit gesetzt ist, bleibt kaum noch Raum. Die Bilder, sie sind alle schon da. Und trotz der streng kalkulierten Form muß man allmählich fürchten, der Kunst gehe am Ende vor lauter hehrem Anliegen die Luft aus. (...)

weitere Fotos der Ausstellung


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